Malikitische Fiqh-Schule
Die malikitische Fiqh-Schule (Rechtsschule) ist eine der vier bekannten Fiqh-Schulen (Rechtsschulen) der Ahl as-Sunna. Sie wird nach dem Imam Malik Ibn Anas benannt.
Ibn Taimiya (ein Hanbalit) sagte: "Die Fiqh-Schule der Leute Medinas - der Heimat der Sunna und der Helfer - also die Fiqh-Schule zur Zeit der Sahaba und Tabi'un und deren Schüler, ist die authentischste Fiqh-Schule aller islamischen Länder im Osten wie im Westen, in den Grundlagen wie in den Fatwas."[1]
Inhaltsverzeichnis
- 1 Entstehung
- 2 Werke
- 3 Grundlagen der Malikiten
- 3.1 Ahl Al-Hadith
- 3.2 Praxis der medinensischen Gelehrten
- 3.3 Masalih Mursala
- 3.4 Berücksichtigen der Meinungsverschiedenheiten
- 3.5 Keine Festlegung von Dingen, die Allah offen ließ
- 3.6 Zum Haram führende Mittel verbieten
- 3.7 Zum Halal Führendes erlauben
- 3.8 Berücksichtigung der Tradition
- 3.9 Istihsan
- 3.10 Keine fiktiven Fragen
- 4 Verbreitung
- 5 Quellen
Entstehung[Bearbeiten]
Diese Fiqh-Schule geht vom Namen her auf den Gelehrten Malik Ibn Anas zurück. Er schrieb das Buch Al-Muwatta, das so berühmt wurde, dass einige Herrscher alle Muslime an dieses Buch binden wollten, doch der Imam Malik lehnte dies ab, da sich die Traditionen unterscheiden und vielleicht an anderen Orten andere Hadithe bekannt waren, die ihm entgingen.
Doch die Geschichte dieser Schule ist älter, ihr berühmtester Vertreter war der Imam Malik, doch sagte er selbst über sich, dass er lediglich das weiterlehrte, was die großen Fiqh-Gelehrten Medinas lehrten. Die Fiqh-Schule Medinas war in der ganzen islamischen Welt die anerkannteste Fiqh-Schule jener Zeit. Auch die irakischen Gelehrten, die ja eine andere Methodik vorzogen, respektierten die Meinungen der Fiqh-Gelehrten Medinas sehr. So lernte der Imam Malik zunächst von den großen Fiqhgelehrten Medinas, bis ihm etwa siebzig dieser Gelehrten bestätigten, dass er zum Erteilen von Fatwas fähig war. Erst dann begann er selbst zu lehren. Da viele Menschen nach Medina reisten und die Muwatta weite Verbreitung fand, verbreitete sich auch das Fiqh des Imam Malik. Der Imam Malik erlaubte seinen Schülern nicht mit Leuten anderer Meinung zu diskutieren, er respektierte die anderen Meinungen viel zu sehr, er war auch dagegen, dass man sich um seine Person scharte. Weiterhin half Abdurrahma ibn al-Qasim - der Schüler Maliks - diese Fiqh-Schule zu verbreiten, indem er viele Fatwas des Imams niederschrieb (in der sog. Mudawwana). Viele Schüler vertraten nach dem Ableben des Imams Malik andere Meinungen, weswegen es in dieser Fiqh-Schule sehr viele verschiedene Meinungen gibt. Durch die Verbreitung in Nordafrika und Andalusien und dem Zusammenkommen mit vielen Kulturen gab es sehr viele Fatwas, weswegen die malikitische Fiqh-Schule als die Richtung mit den meisten Werken und Fatwas gilt.
Werke[Bearbeiten]
Frühe Werke 2.-4. Jh.[Bearbeiten]
- Die Muwatta des Imam Malik (wird gerade in Deutsche übersetzt)
- Al-Mudawwana Al-Kubra (Abdurrahman ibn al-Qasim und Sahnun)
- Die Muchtasarat Ibn al-Hakams (bis auf einige Bruchstücke verschollen)
- Al-'Utbiyya (verschollen), nur der Kommentar al-Bayan wa at-Tahsil von Ibn Ruschd senior ist erhalten.
- Al-Muwaziya (verschollen)
- Al-Wadiha (bis auch wenige Teile verschollen)
Werke aus der mittleren Entstehungsphase 4.-7. Jh.[Bearbeiten]
In dieser Phase wurden die Überlieferungen Maliks und seiner Schüler ausgewertet und kategoriesiert, sowie viele Fatwas gesammelt und mehrbändige Werke zusammengefasst.
- Ar-Risala von Ibn Abu Zaid Al-Qairuwani.
- An-Nawadir wa az-Ziyadat von Ibn Abu Zaid Al-Qairuwani, ein Werk mit Überlieferungen aus der Gründungsphase, die weder in der Mudawwana noch in der Muwatta enthalten sind.
- Al-Istidhkar und At-Tamhid von Abu Umar Ibn Abdulbarr.
- Al-Muqaddimat wa al-Mumahhidat von Muhammad Ibn Ahmad Al-Qurtubi Ibn Ruschd senior.
- Al-Bayan wa at-Tahsil von Muhammad Ibn Ahmad Al-Qurtubi Ibn Ruschd senior.
- Al-Muntaqa von Al-Badschi
Werke der letzten Phase: Festigung der Schule 7. Jh - heute[Bearbeiten]
Die letzte Phase begnügte sich damit, die Werke der vorigen Phasen zu kommentieren, zusammenzufassen oder alle Themen und Fatwas eines Gebietes zu sammeln. In dieser Phase sind weit über hundert Werke entstanden, weshalb hier nur einige Standardwerke erwähnt seien:
- Al-Dschami' bain al-Ummahat von Ibn Al-Hadschib, ein Werk, in dem die Meinungen der frühen Werke zusammengefasst wurden.
- Adh-Dhachira von Al-Qarafi.
- Muchtasar Ibn Al-Hadschib von Ibn Daqiq Al-'Id.
- Muchtasar Chalil von Chalil Ibn Ishaq.
Standardwerke heute[Bearbeiten]
Heute haben sich unter den vielen Klassikern zwei Werke und deren Kommentare durchgesetzt:
- Muchtasar Chalil von Chalil Ibn Ishaq.
Für dieses Werk gibt es zahlreiche Kommentare und Glossen, wie: Al-Iklil, Mawahib Al-Dschalil.
- Ar-Risala, von Ibn Abu Zaid al-Qairuwani
Dies ist das Standardwerk in den meisten Maghrebländern. Auch hierzu gibt es zahlreiche Kommentare.
Grundlagen der Malikiten[Bearbeiten]
Jede Fiqh-Schule unterscheidet sich in einigen Grundlagen, wie man mit Themen umgehen soll, die nicht eindeutig in Quran und Sunna erwähnt wurden. So hat auch die malikitische ihre Besonderheiten:
Ahl Al-Hadith[Bearbeiten]
Die Malikiyya stützt sich vor allem auf Quran und Hadithe, doch wurde auch viel Idschtihad gemacht. Sie gehört zu Ahl Al-Hadith, weil sie sich von der hanefitischen Fiqh-Schule durch die große Menge an Überlieferungen unterscheidet. Der Imam Malik verließ Medina nur zum Hadsch, doch waren die meisten Nachfahren und Schüler der Sahaba in Medina, weswegen es dort die meisten Hadithe gab.
Praxis der medinensischen Gelehrten[Bearbeiten]
Aus diesem Grund war der Imam Malik der Ansicht, dass Hadithe, die in Medina (von den Gelehrten) einstimmig zu seiner Zeit - also der Zeit der Tabi'un und deren Schüler - nicht praktiziert wurden, als aufgehoben oder eingeschränkt galten. Es ist also nicht nur wichtig zu wissen, ob ein Hadith authentisch ist, sondern auch, ob dieser Hadith in den letzten Jahren des Propheten (möge Allah ihn in Ehren halten und wahren) noch praktiziert wurde. Es gibt zahlreiche authentische Hadithe, die jedoch aufgehoben, oder durch eine andere Offenbarung (aus Quran und Sunna) eingeschränkt oder erweitert wurden.
Die Praxis der medinensischen Gelehrten galt für jene Zeit, als Medina die Hochbburg der Sunna war, deren meiste Einwohner Nachfahren der Sahaba waren und den Islam am besten kannten.
Diese Regel wurde jedoch von zahlreichen Gelehrten - wie etwa dem Imam Asch-Schafi'i - kritisiert. Oft wurde diese Regel jedoch missverstanden und als Idschma' verstanden. Doch handelt es sich hierbeit nicht um eine Art örtlichen Idschma', wie dies von Asch-Schafi'i aufgefasst wurde, sondern um den Vergleich zwischen Überlieferung und Praxis der Sahaba und deren Schüler.
Masalih Mursala[Bearbeiten]
In der malikitischen Fiqh-Schule wird das Allgemeinwohl - Masalih Mursala - im Rahmen der Rechtsfindung berücksichtigt. Die Beuzgnahme auf das Allgemeinwohl gilt bei den Malikiten sogar als eigenständige Quelle des Fiqh, arab. Istislah.
Berücksichtigen der Meinungsverschiedenheiten[Bearbeiten]
Eine Besonderheit der Malikiten ist das Prinzip, Meinungsverschiedenheiten zu respektieren und mit einzubauen. Diese Regeln existiert in anderen Schulen nicht und ist ein Beweis für die große Toleranz und Umsicht des Imam Malik, der diese Regel häufig anwendete.
Die Fatwa selbst wird nach den Prinzipien der malikitischen Schule erlassen; wenn der Fall (auf den sich die Fatwa bezieht) aber bereits eingetreten ist, werden die anderen Fiqh-Schulen berücksichtigt und es wird nach der leichtesten und besten Lösung unter Berücksichtigung aller Fiqh-Schulen gesucht.
Beispiel: Ein Ehepaar hat geheiratet, aber ohne Einverständnis des Vaters der Frau. Nach Abu Hanifa ist dies unter bestimmten Umständen eine gültige Ehe. Wenn also die Ehe bereits vollzogen wurde, so wird dies in der malikitischen Schule berücksichtigt, da es ja auch diese Meinung gibt, obwohl die Malikiten anderer Meinung sind. Aber eine vollzogenen Ehe kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.
So werden viele Probleme - besonders im Familien- und Handelsrecht - gelöst.
Keine Festlegung von Dingen, die Allah offen ließ[Bearbeiten]
Zu den eigentlichen Prinzipien des Imam Malik gehörte es, keine Maße oder Grenzen für Angelegenheiten festzulegen, die Allah nicht erwähnte. Beispiele:
- Die Entfernung, ab der man von einer Reise spricht.
- Die Grenze zwischen "viel" und "wenig" bei Wasser, unreinen Substanzen etc.
Zum Haram führende Mittel verbieten[Bearbeiten]
Diese Regel - sadd adh-dhara'i' (سد الذرائع) wird in vielen Schulen angewandt. Ihr liegt folgende Regel aus Usul Al-Fiqh zu Grunde: Das Mittel wird wie der Zweck beurteilt. Wenn also eine Tat an sich nicht verboten ist, aber zu etwas Verbotenem führt, wird sie verboten. Die Bedingungen werden unter dem Thema Zum Haram Führendes verbieten näher erläutert.
Zum Halal Führendes erlauben[Bearbeiten]
Diese Regel ist der Umkehrschluss der obigen und beruht auf dem selben Prinzip: Das Mittel wird wie der Zweck beurteilt. Was zum Guten führt (und an sich erlaubt ist), soll erleichtert werden.
Berücksichtigung der Tradition[Bearbeiten]
Traditionen, die dem Islam nicht widersprechen, gelten als bindend, wenn es um Verträge geht. Als Beispiel: Im Ehevertrag wurde nicht explizit festgelegt, wer welche Einrichtungsgegenstände der Wohnung besorgt, doch ist es traditionell in manchen Ländern üblich, dass bestimmte Möbel und Haushaltsgeräte von der Seite des Mannes bzw der Frau besorgt werden. Diese Tradition widerspricht dem Islam nicht und ist somit im Zweifelsfall gültig (wenn man sich nicht anderweitig geeinigt hat).
Istihsan[Bearbeiten]
Das Unterlassen des Qiyas in einem speziellen Fall zugunsten einer anderen islamischen Quelle, um Schaden vorzubeugen oder Schwierigkeiten abzuwenden.
Keine fiktiven Fragen[Bearbeiten]
Malik verbot seinen Schülern, fiktive Fragen zu stellen, also Fälle zu erfinden, die gar nicht eingetroffen sind, um eine entsprechende Fatwa zu finden. Ein Schüler Maliks - Asad Ibn Furat - der von der Schule der Hanafiten beeinflusst war, stellte gelegentlich solche Fragen, weshalb ihn Malik rügte: "Ist so etwas denn geschehen?", als er es verneinte, antwortete Malik: "Dann lass es, bis es geschieht! Das ist eine Kette, deren Tochter wiederum eine Kette ist! Geh zu den Leuten im Irak, den Ahl ar-Ra'i!" Die Hanafitische Schule ist für viele Fatwas bekannt, die durch fiktive Fragen entstanden, wohingegen die malikitische Schule für praxisnahe Fatwas bekannt ist, da sich Maliks Schule stärker verbreitete als jede andere und daher viele Fragen aus dem Alltag der Muslime Andalusiens, Nordafrikas, der arabischen Halbinsel, des Iraks und anderer Regionen gestellt wurden. So wurde das Malikitische Fiqh reich an Fatwas.
Als Malik lebte, kamen die Gelehrten von überall nach Medina, um bei ihm zu lernen. Das lag daran, dass alle die Gelehrten aus Medina besonders respektierten. Es gab auch Versuche seitens der Abbasiden, die Schule Maliks zur Staatsdoktrin zu erheben. Doch Malik weigerte sich sehr, dies anzunehmen.
Verbreitung[Bearbeiten]
Früher war die malikitische Fiqh-Schule im Großteil Saudi Arabiens, in Nordafrika und Andalusiens führend.
Heue ist sie hauptsächlich in Nordafrika, vor allem Mauretanien, Marokko, Algerien, Tunis und Lybien verbreitet, ihre Verbreitung in Ägypten ging zu Gunsten der schafiitischen Fiqh-Schule zurück.
In Saudi Arabien und den Golfstaaten wird zwar heute die hanbalitische Fiqh-Schule in den Moscheen unterrichtet, da diese Richtung im Nadschd, dem heutigen Zentrum Saudi Arabiens, verbreitet war. Doch ist bei Fatwas und im Richteramt nach wie vor die malikitsche Fiqh-Schule vorgeschrieben, ähnlich verhält es sich in den meisten Golfstaaten.
Quellen[Bearbeiten]
- ↑ Ibn Taimiya, Ahmad: Madschmu' al-Fatawa. Bd. 20, S. 294
- Abu Zahra, Muhammad (1952): Malik (sein Leben, seine Zeit, seine Meinungen und sein Fiqh). Dar Alfikr, Kairo.
- Sabalek, Ahmad (2008): Al-Madchal lidirasat al-Fiqh wa al-Usul. Dar Ar-Rida, Kairo.
- Dr. Muhammad Ibrahim Ali (2000): Istilah al-Madhhab 'inda al-Malikiyya. Dar al-Buhuth, Dubai.