Araber
Die Araber (arab.: العرب, al-'Arab) sind eine semitischsprachige Ethnie im Nahen Osten und in Nordafrika, die überwiegend in den arabischen Ländern beheimatet sind. Als nicht-autochthone Gemeinden leben sie zudem in der Diaspora in vielen Ländern der Welt, überwiegend in Süd- und Nordamerika sowie Europa, vor allem in Brasilien, Argentinien, Frankreich und in den Vereinigten Staaten[1].
Nachdem die Definition in unterschiedlichen Kulturkreisen und Zeiten stark voneinander abweicht, ist eine eindeutige Zuweisung nur im entsprechenden Kontext möglich. Nicht zu den Arabern gezählt werden Ethnien wie Berber, Somali, Kurden, Perser, Turkmenen, Aramäer, Habesha sowie andere, die in arabischen Ländern leben. Viele von ihnen beherrschen das Arabische als Zweitsprache[1].
Inhaltsverzeichnis
Geschichte der Araber in ihrer vor-islamischen Zeit[2][Bearbeiten]
Die Araber werden im Jahr 853 v. Chr. das erste Mal in einer historischen Quelle erwähnt. Eine Inschrift bezeugt, dass 1000 arabische Kamelreiter in einer Schlacht bei Qarar (Syrien) die Truppen syrischer Könige unterstützten, und mit ihnen gegen die Assyrer kämpften. Die in dieser Inschrift erwähnten arabischen Reiter waren Nomaden. Die historische Hilfswissenschaft der Epigraphik half diese assyrische Siegesinschrift als Quelle für die Geschichtswissenschaft zu nutzen.
Die Araber waren damals ein meist nomadisches Volk, das die arabische Halbinsel bewohnte. Sie definierten ihre Zugehörigkeit zu diesem Volk in erster Linie über die Sprache, aber auch über die Abstammung, über die Stammeszugehörigkeit. Man sprach dann von Arabern (al-Arab) und Arabisierten (al-Musta'rabun). Die Arabisierten sprachen zwar Arabisch als Muttersprache, entstammten aber nicht direkt einem der Stämme der arabischen Halbinsel. Z.B. war Ismail (Ismael) (der Friede sei mit ihm), der mit seinem Vater Ibrahim (Abraham) (der Friede sei mit ihm) die Kaaba erbaute, einer der Musta'rabun.
Heute wird die arabische Sprache über ein sehr weites Gebiet gesprochen, das sich von Mauretanien im Westen bis Südwestiran im Osten, und von der Südtürkei (Hatay, Iskenderun, Antakya) im Norden bis Somalia im Süden erstreckt. Wahrscheinlich sprechen schon weit über 300 Millionen Menschen Arabisch als Muttersprache.
Geschichte der arabischen Sprache und der arabischen Schrift[Bearbeiten]
→ Zur Geschichte der arabischen Sprache siehe den Hauptartikel: Arabische Sprache
Dichterkunst[Bearbeiten]
Seit dem 5. Jahrhundert n.Chr. ist arabische Poesie in schriftlicher Form bezeugt. Da diese Poesie hoch entwickelt ist geht man davon aus, dass die arabische Dichterkunst bereits vor diesen ersten schriftlichen Zeugnissen ihrer Existenz eine sehr lange Tradition hatte.
Es gibt drei verschiedene Gedichtsformen:
- Nahr: Freie Form, Prosa
- Sadsch: Sadsch hat keine Versform aber einen Endreim
- Nazm: Nicht frei
Auch die Dichter werden in drei Kategorien eingeteilt:
- Kahin: Der Kahin ist der Magier einer Stammesgruppe. Die Leute glauben, dass er mit den Vorfahren kommuniziert. Er galt als Seher und Wärter der sakralen Sachen.
- Scha'ir: Der Scha'ir ist ein Dichter, der in der Gedichtsform Nazm dichtet.
- Madschnun: Ein Madschnun ist ein von Geistern (arab.: Dschinn) Besessener, der im Trancezustand dichtet. Seine Texte haben meist keine Gedichtsform.
Berühmte arabische Dichter hatten oft Leute, die ihnen beim Vortragen von Gedichten zuhörten und sich die Verse merkten. Das Auswendiglernen und Tradieren war also zur Zeit des Propheten (ALLAHs Segen und Frieden mit ihm) nichts Neues, sondern hatte in der arabischen Gesellschaft eine lange Tradition.
Der arabische Stamm[Bearbeiten]
Der folgende Abschnitt wurde vollständig entnommen aus Rassoul (1999):[3]
Immer und überall sind neben den einzelnen Menschen Menschenverbände als Rechtsträger anerkannt gewesen. Jedoch waren die Denkformen für diese Rechtssubjekte wie auch ihre tatsächliche Verwirklichung nach Zeit und Volk verschieden. Familie und Stamm sind die ältesten Formen der menschlichen Gesellschaft. Im Urzustand lebte wohl jede Familie für sich und bildete ein nach außen abgeschlossenes Gemeinwesen. Indem die Familie sich vermehrte, zerfiel sie wieder in verschiedene Teile, die alle einen Stammvater hatten und die sich von einem gemeinsamen Bande der Zusammengehörigkeit umschlungen fühlten. Daraus folgt, daß die blutmäßige Zugehörigkeit zu einer beduinischen Sippe eine Vorbedingung des rechtlichen Status ist. Ein solcher Verein mehrerer Familien bildete einen Stamm, der bei dem allmählichen Anwachsen seiner Mitglieder wieder in verschiedene kleinere Fraktionen, Unterstämme, Clans zerfiel, deren jeder aus einer größeren oder kleineren Anzahl von einzelnen Familien bestand. Der Ausdruck Familie (Bait), d.h. Haus, Zelt, umfasste in seiner weitesten Bedeutung einen ganzen Stamm, der denselben Stammvater hatte, wie im engsten Sinne wieder nur die nächsten Familienmitglieder (Ahl Bait), nämlich Vater, Mutter, Söhne, Töchter, Enkel, also die nächsten Blutsverwandten. "Das Stammeswesen beruht aber in vielen Fällen nicht auf der Blutgemeinschaft, sondern auf der Fiktion derselben. Aber diese Fiktion ist unentbehrlich. Aus ihr allein fließt der Gemeinsinn, ohne den der Stamm nicht existieren kann; denn dieser ist eine Gemeinschaft ohne Obrigkeit, angewiesen auf gegenseitige Hilfe seiner Mitglieder nach innen und außen. Der Zusammenhang der Blutgemeinschaft mit der Blutrache ist ohnehin evident." Die Frage "Was ist ein Stamm?" wird von Caskel wie folgt beantwortet: "Nach der ungeschriebenen, aber aus den drei Quellen abzulesenden Definition: eine Gemeinschaft, deren Mitglieder von ein und demselben Ahn abstammen, und zwar in männlicher Linie." Dennoch gibt es Stammesgemeinschaften, die nicht von demselben Ahn abstammen, sondern auch in willkürlicher Bindung sich gebildet haben[3].
Abgrenzung der Stammesform
In diesem Zusammenhang stellt Kremer fest, "daß das alte Stammesverhältnis bei den damaligen Culturverhältnissen Arabiens nach und nach sich nicht mehr als genügend erwies, und daß das Bedürfnis zur Bildung grösserer Vereine sich entschieden fühlbar machte. Es ist eine Erscheinung, die sich oft im Völkerleben wiederholt, daß, sobald ein Volk reif ist für eine große sociale, politische oder religiöse Idee, sich auch die Werkzeuge von selbst finden, um dieselbe zur Durchführung zu bringen. Es scheint dann, als ob das ganze Gerüste, auf dem die frühere Cultur beruhte, plötzlich einbräche und ein ganz neuer Bau aus den Trümmern emporstiege." "Eine Durchprüfung des Bestandes der Stämme zeigt, daß es keinen gibt, der von An- und Eingliederung frei ist. Die Stämme sind also durchaus nur politische, nicht somatische Einheiten. Sie sind aber auch dann noch Einheiten, wenn wir sie nicht mehr als einen Stamm, sondern als eine Föderation ansehen müssen, und unterscheiden sich in diesem Sinne von bloßen Bündnissen auf außerpolitischer Grundlage." Die Ausschließlichkeit des Stammeswesens wurde vor dem Islam durch die Einrichtung der Eidgenossenschaft gemildert. Teilstämme traten zugunsten einer solchen Genossenschaft zuweilen aus den Gruppen heraus, denen sie zufolge ihrer genealogischen Tradition zunächst angehörten, um durch ein feierliches Bündnis in eine fremde Gruppe einzutreten. Auch dem Einzelnen war es möglich, auf diese Weise der Eidgenosse eines fremden Stammes zu werden. Diese Bundesgruppen bildeten aber wieder ein neues Moment der Abschließung, in dem durch sie eine Trennwand errichtet wurde zwischen den Eidgenossen und all jenen Stämmen oder Stammesgruppen, welche nicht in den Eidesbund mit einbezogen waren. Durch den Islam ergab sich dann etwas Erstaunliches: Aus dem Recht einzelner Stadtstaaten, wie es auf antikem Boden selbstverständlich war, "ist hier in aller Stille das Recht von Glaubensgemeinschaften geworden." Zur Abgrenzung von Stammesform und -große heißt es in der Literatur: "Der Stamm muß eine gewisse Stärke besitzen - etwa 200 bis 2000 Zelte, ein gemeinsames Wohn- oder Streifgebiet oder beides innehaben, je nachdem er in Städten oder Oasen seßhaft, zum Teil oder zu Zeiten nomadisch oder ganz nomadisch lebt." Hasanain nennt dies "Schutz der gemeinsamen Interessen" und stellt fest, daß die Gültigkeitsdauer der vertraglichen Abmachung zwischen den Stämmen davon abhängig gemacht wird, wie lange der Interessensschutz vorgesehen ist. Zu diesen Interessen werden z.B. die wirtschaftlichen, die parteipolitischen Interessen und die Verteidigung gezählt. Dabei sind die Stämme staatsähnliche Gebilde mit echter Justiz im völkerrechtlichen Sinne; denn diese werden als Rechtspersonen angesehen, die fähig sind, durch ihre Vertreter einen solchen Vertrag abzuschließen. Damit ist ein Stammesverband "nichts anderes als eine politische Einheit, die sich unter territorialen Interessen bildet.
Die Zugehörigkeit durch natürliche Bindung
Die Zugehörigkeit zum Stamm war das Band, das die zueinander Haltenden vereinigte, aber auch von anderen Gruppen wieder absonderte. Die wirkliche oder eingebildete Abstammung von einem gemeinsamen Ahn war das Symbol der sozialen Moral, der Maßstab, der an die Wertschätzung des Nächsten angelegt wurde. Im Mittelpunkt der sozialen Anschauung der Araber stand das Bewußtsein der gemeinsamen Abstammung einzelner Gruppen. Es ist nicht schwer zu verstehen, daß der Ruhm des Stammes gegenüber jedem anderen Stamm in dem Ruhm der Ahnen bestand. Auf ihn gründete sich der Anspruch des Stammes und jedes Einzelnen auf Achtung und Ansehen. Das Wort für den letzten Begriff ist "Hasab". Arabische Philologen erklären diesen Ausdruck als die Aufzählung der ruhmreichen Taten der Ahnen, aber ohne Zweifel gehört dazu auch die Aufzählung der ruhmreichen Glieder selbst, mit denen der Stammbaum in väterlicher und mütterlicher Linie prunkt. Je mehr man aufzuzählen hat, desto "dicker" ist der hasab oder der Adel. Die Stammesgemeinschaft gliedert sich in Abteilungen, die den näheren und fernen Graden der Verwandtschaft entsprechen. Der Stamm geht also aus einer Familie durch natürliches Wachstum hervor.
Die willkürliche Bindung
Die Orientalisten, die sich mit der Frage der willkürlichen Bindung beschäftigt haben, haben, sie mit "nein" oder mit einem sehr beschränkten "ja" beantwortet. Merkwürdig ist, daß die arabischen Genealogen derselben Ansicht zuneigen, ohne das auszusprechen. Wir lesen nämlich dauernd, daß einzelne Gemeinschaften von ihrem Stamm zu einem fremden übergehen, oft formlos ohne den Abschluß eines Schutzvertrages oder einer eidlichen Bindung, und erfahren manchmal, daß große Unterstämme, durch die der Stamm überhaupt erst konstituiert wird, fremder Herkunft sind, "z.B. die 'Aklub bei den Hat'am, einem Stamm zwischen dem südlichen Hidschaz und dem Jemen. Außerdem ist es so gut wie sicher, daß bei der Verschiebung von Streifgebieten großer Stämme, z.B. der der Tamim von Mittelarabien nach Osten, der der Banu 'Amir von Süden nach Mittelarabien, Teile der früheren Bewohner von jenen einverleibt worden sind." "Hier wird deutlich, daß der Stamm nicht nur durch natürliche Vermehrung wächst und nicht nur aus der Familienzelle entsteht. Nach allgemeiner Überlieferung haben sich die Quraisch, der Stamm des Propheten Muhammad (ALLAHs Segen und Frieden mit ihm), von den Kinana abgespalten. Das trifft aber nur für die Quraisch in der Umgebung von Makka zu, nicht für die Geschlechter in der Stadt selbst. Diese haben sich durch die Aufnahme ausgestoßener oder flüchtiger Übeltäter vermehrt." Während Kremer diese Auffassung unterstützt, fügt er wie folgt hinzu, daß der Sklave nach seiner Freilassung in den Stamm eingegliedert sein konnte: "Es gab verschiedene Arten, auf welche der Sklave frei werden konnte. Durch Freisprechung seines Herrn erlangte er insofern die Freiheit, als er Herr seiner Handlungen ward, Vermögen erwerben und vererben konnte. Ein solcher Sklave hieß "'Atiq", d.h. Freigelassener. Stets scheinen die alten Araber es als großmütig und preiswürdig betrachtet zu haben, Sklaven auf diese Art zu freien Männern umzugestalten. Aber wenn auch hiermit der Sklave die Freiheit erlangte, so wurden doch nicht alle Bande zwischen seinem Herrn und ihm gelöst; der erste blieb immer sein Schützer und Beschirmer, sein Patron, und er blieb ihm und seiner Familie gegenüber zum Schütze, zur Hilfeleistung und besonders zur Verteidigung von Gut und Leben verpflichtet und hiess fortan Client des N.N. oder des Stammes N.N. Er gehörte von nun an zum Stamme seines Patrons und trat in alle mit diesem Stammesverhältnis verbundenen Rechten und Pflichten ein. Starb der Client ohne direkte Erben, so beerbte ihn sein Patron. Das Patronat vererbt sich daher in der Nachkommenschaft des Patrons. Das Patronat war aber auch ein unveräusserliches Recht, dessen sich der Patron nicht nach Belieben entledigen konnte, weder durch Schenkung noch durch Verkauf."
"Um die Zeit, als Muhammad ALLAHs Segen und Frieden mit ihm) zur Welt kam (570 n. Chr.), hatte das soziale System eine ausreichende Stufe der Ausbildung. Die Stämme, deren Ursprung auf einzelne Familien zurückging, waren zu zahlreichen Gemeinden angewachsen, die mit ihrem ganzen Tross von Clienten und Leibeigenen oft viele Tausende von Menschen zählten. [...] Es sind schon vor Muhammad (ALLAHs Segen und Frieden mit ihm) Fälle nachweisbar, wo einzelne Stämme zum gegenseitigen Schütze oder zu anderen gemeinsamen Zwecken sich verbündeten. Ausserdem sind noch die von anderen Stämmen ausgeschiedenen und dem Stamme aggregierten Individuen zu nennen, welche in den Stammverband aufgenommen worden waren. Man nannte sie Mulsaq oder a, auch Halif, d.h. Beeidete. Die Rechte eines solchen in einem Stamm aufgenommenen Fremden mögen ursprünglich nicht viel von jenem eines Clienten sich unterschieden haben."
In diesem Zusammenhang ist die Auffassung Reinerts recht interessant. Er schreibt: "Haiy ist die wohl konkreteste Gemeinschaft im Leben der vorislamischen Araber. Im Gegensatz zu den anderen Bezeichnungen ist mit Haiy primär kein Verwandtschaftskreis gemeint, sondern - hier zeigt sich eine Diskrepanz zwischen genealogischer Fiktion und tatsächlichen Gegebenheiten - Leute, die zusammen wohnen und reisen, bzw. das Zeltlager selbst, ohne Rücksicht darauf, ob die Mitglieder Blutverwandtschaft sind oder nicht, obwohl in der Regel das erste der Fall ist."
Damit wird auch verständlich, warum die Eintragung der arabischen Krieger im Islam in das Söldner-Register des Bait Al-Mal nur durch den 'Arif, d.h. Stammes-Kontrolleur, erfolgte, da er neben der Blutsverwandtschaft des Mannes auch seine Zugehörigkeit zum Stamm aufgrund willkürlicher Bindung kennt. Dies geschah deshalb, weil die Stämme durchaus als politische Einheiten angesehen wurden, die in ihrer Organisation die Souveränität des islamischen Staates auf keinen Fall beeinträchtigen oder gefährden durften.
Die Entstehung des Stammes
Der Tahaluf (Bündnis) kann wohl als die ursprüngliche Form der arabischen Stammesbildung erwähnt werden, insofern ein großer Teil der späteren Stammesnamen im Grunde wohl keine andere Bedeutung hatte, als eine gemeinsame Bezeichnung mehr oder weniger disparater Elemente, welche gleiches Interesse oder auch zufälliges Zusammentreffen auf dasselbe Gebiet zusammenführte. An Stelle der lokalen Einheit trat dann später die Fiktion der genealogischen Einheit. So sind denn manche der später sog. Stämme, nicht durch gemeinsame Abstammung, sondern durch gemeinsame Ansiedlung entstanden. Dieser Vorgang ist nicht nur von den arabischen Genealogen so dargestellt worden. Auch in historischer Zeit hatte das Hilf-Bündnis zuweilen die Folge, daß zwei ursprünglich fremde Stämme, zu einem Bündnis vereinigt, auch die Wohnsitze gemeinsam hatten und in die engste Lebensgemeinschaft zu einander traten, so daß jener, sein selbständiges Stammesbewußtsein durchaus verleugnend, sich ganz und gar zum stärkeren Bundesstamm bekannte.
Die Auflösung des Stammes
Mit der Entstehung des islamischen Staates wurde auch das Stammeswesen anerkannt und sogar gefördert; denn die Stämme spielten zur Zeit des Propheten Muhammad, Allahs Segen und Friede auf ihm, eine wichtige soziale und politische Rolle bei der Stützung des neuen Staates. Der Islam hatte sich zu Beginn seiner Geschichte nur gegen die Stämme gewandt, die die Verbrüderung und Einheit der neuen Nation (Umma) gefährdeten. Er verfolgte sogar die Absicht, den Aufstand gegen die neue Nation zu beenden, nicht aber bestimmte Stämme aufzulösen; denn der Gesandte Allahs konnte der inneren Organisation des Stammeswesens viele Vorteile für die politische Bildung des islamischen Staates entnehmen: Die Steuereinnahmen, der Ausbau des islamischen Heeres, der Austausch von Kriegsgefangenen, die Teilung der Kriegsbeute und die soziale Fürsorge der islamischen Bürger wurden oft durch die Anwendung des islamischen Rechts auf Stammesebene verwaltungstechnisch geregelt. Ibn Dschama'a berichtet: "Als die islamischen Truppen und die Finanzen immer mehr zunahmen und sich das Bedürfnis geltend machte, diese Dinge zu registrieren, und die Gefährten diesbezüglich um Rat fragten, legte 'Umar Ibn al-Khattab (r) ein Register an. Den Rat dazu erteilten ihm 'Uthman Ibn 'Affan, Khalid Ibn Al-Walid und andere. Daher beauftragte er 'Ali Ibn Abu Talib, Al-Mughira Ibn Naufal und Dschubair Ibn Mut'im, die zu den Quraisch gehörten, die Leute nach ihrem Range aufzuzeichnen und bei Banu Haschim anzufangen. [...] Falls er aber nicht berühmt ist, so soll er seinen Namen, seine Sippe, seinen Stamm, seine Qualifikationen, seine Fähigkeit und das, was ihn vor anderen auszeichnet, bekanntgeben und diese Umstände und seine Person seinem Stammeskontrolleur ('Arif) zur Kenntnis bringen." Außerdem gibt uns die Überlieferung ein Beispiel dafür, daß die Zugehörigkeit zu einem Stamm eine prompte Erledigung beim Austausch von Kriegsgefangenen herbeiführte: 'Umar Ibn al-Khattab, Allahs Wohlgefallen auf ihm, der zweite Kalif des islamischen Staates, ließ einige in der Zeit der Unwissenheit (arab.: Dschahiliyya, vorislamische Zeit) verkaufte Sklaven mit ihren Kindern als freie Menschen zu ihren Sippen und Stämmen zurückkehren. Dies zeigt uns, daß die Aufrechterhaltung des Stammeswesens im Interesse des islamischen Staates selbst lag, und das war wieder von Vorteil für die Stammesorganisation.
Trotzdem spielten drei Faktoren eine wichtige Rolle, die die Auflösung des Stammes herbeiführten:
- Erstens wurde eine kriminelle Handlung wie z.B. Mord und / oder Raub ein Grund dafür, daß der Stamm aufgelöst wurde und die Stammesmitglieder aus natürlicher Bindung bis zum dritten Grad von ihrem Territorium evakuiert und verbannt wurden. Dabei darf der Ausgestossene nicht einmal den Namen seines Stammes führen. Diese Maßnahme wurde nur gegen die Mitglieder männlichen Geschlechts vorgenommen.
- Daneben wurde das Stammessystem durch die zunehmende Macht des islamischen Staates geschwächt und löste sich im Laufe der Zeit von selbst auf. Von der "Verschmelzung des Stammes mit dem Staat" spricht Hasanain, wobei eine funktionsfähige Exekutive des Stammes ausfällt, oder der Stamm in seiner Gesamtheit zu schwach geworden ist und sucht den "Tabanni", eine Art von Adoption, durch welche ein starker Stamm den anderen schwachen und nicht mehr existenzfähigen adoptiert. In dem Falle wird ein "Tabanni-Vertrag" zwischen den beiden Stämmen abgeschlossen, wodurch der volle Verschmelzungsprozeß stattfindet und wobei die Gemeinschaft des adoptierenen Stammes dem anderen die gleichen Rechte und Pflichten zuerkennt.
- Eine willkürliche Beendigung des Stammesverhältnisses durch den sog. "Gemeinschaftswillen" der Mitglieder ist nicht anzutreffen, dennoch kann man behaupten, daß es "für den Muslim nicht mehr den alten Stammesverband, der ihn schützte, gibt, sondern die Gemeinde der Muslime wird ihm zum Vaterland."
Führung und Vertretungsorgan des Stammes
"Jeder Stamm, jeder Unterstamm", sagt Ibn Khaldun, "bildete für sich eine selbständige Gemeinschaft, weil alle Mitglieder von dem selben Stammvater abstammen. Aber gleichzeitig bestehen innerhalb dieser Gemeinschaft einzelne Gruppen, deren Mitglieder enger zusammenhalten, als jene, deren allgemeine Vereinigung den Stamm ausmacht. Hierher gehören die Blutsverwandten, die einzelnen Familienkreise und die von einem gemeinsamen Vater abstammenden Brüder. Diese Verwandtschaft begründet zwischen ihnen ein stärkeres Band, als das, welches zwischen Geschwisterkindern besteht. Mit dem Stamme im ganzen durch den gemeinsamen Ursprung verbunden, können sie zwar immer auf dessen Schutz und auf die Unterstützung aller Stammesgenossen zählen; aber die Stütze, die sie von diesen erhalten, ist weniger nachdrücklich als die ihrer direkten Familienangehörigen, mit welchen sie in unmittelbarer Blutsverwandtschaft stehen. Die Führerschaft des ganzen Stammes aber kann nur einer einzigen Familie zukommen, und, um dieselbe auszuüben, muß diese Familie mächtig sein."
Die Behauptung Ibn Khalduns, daß die Führungskraft einer einzigen Familie zukommt, widerspricht freilich seiner Ansicht, alle Stammesmitglieder stammten von demselben Stammesvater ab und daß die Stammesmitgliedschaft auf einer willkürlichen Bindung beruht. Uns interessiert hier, daß die Stammesführung nur einer mächtigen Familie zukommt: Dies bedeutet noch nicht, daß der Stammesrat nur aus den Mitgliedern einer einzigen Familie bestand. Ibn Khaldun meinte nur das Stammesoberhaupt, den "Saih", in dessen Person sich Ehre und Würde des ganzen Stammes verkörperten. Sind mehrere Stämme ('Ascha'ir) zu einem Stämmebund (Qablla) vereinigt, so steht an der Spitze des Ganzen der Oberscheich. Er ist der Führer des Stammes und auch dessen Vertreter nach außen. "Mit ihm verhandelt eine auswärtige Regierung, ihm werden Titel, Orden oder Ehrengewänder verliehen, Geld oder andere Geschenke gemacht, ihm wird die Besteuerung des Stammes übertragen, mit ihm werden Verträge abgeschlossen."
Auch wenn ein bestimmter Vertrag von einem einzelnen Stammesmitglied abgeschlossen wird, ist dieses Mitglied als "Treuhänder seiner Gemeinschaft" und demzufolge als Vertreter des Saih oder Oberscheichs, der diese Handlung später billigt, anzusehen, da dieser letzten Endes der Repräsentant des ganzen Stammes ist. Die Macht und Herrschaft des Stammesführers soll eigentlich keine Gefahr gegen den islamischen Staat mit sich bringen, da der Stamm, wie oben erwähnt, einige soziale und politische Zwecke des islamischen Staates erfüllt.
Organisierte Funktion der Stammesmitglieder
Die arabischen Stämme wetteiferten fortwährend um ihren guten Ruf, der sich auf das Vorhandensein solcher Eigenschaften wie Tugend, Tapferkeit, Freigebigkeit usw. stützte. Jeder Stamm mußte seine Mitglieder nach diesbezüglichen Vorschriften behandeln und erziehen, sie zugleich aber auch als Repräsentanten des Stammes nach außen ansehen und ihnen die Vertretungsmacht im Namen des Stammes verleihen: Für den Stamm als Rechtsgemeinschaft und für sein Verhältnis zu anderen Stämmen ist es charakteristisch, daß zwar alle Verträge vom Einzelnen abgeschlossen wurden, aber die Gemeinschaft banden. Der Einzelne kann dies freilich mit Zustimmung seines Stammes tun. Neben einer solchen Ermächtigung der Stammesmitglieder setzt das ungeschriebene Stammesrecht voraus, daß das Mitglied der Vertretung würdig sei: Jedes Mitglied muß seine Ehre mit aller Macht verteidigen; denn diese ist auch die Ehre seines Stammes in seiner Gesamtheit. Handelt das Stammesmitglied dem zuwider, ist der Stamm berechtigt, es aus der Gemeinschaft auszustoßen. Die Austoßung eines Mitgliedes kann auch wegen Charakterfehlern erfolgen, so z.B., wenn ein Mitglied als geizig bekannt wird. In diesem Sinne meint Hasanain:
"Die Ehre und der Ruf einer Stammesgemeinschaft sind der Maßstab, mit dem die Deliktsfähigkeit des ganzen Stammes wahrgenommen werden kann; denn alle Stammesmitglieder bilden eine Einheit, die sich bei einem Vergehen eines ihrer Mitglieder für schuldig erklärt. Diese Haltung der Stammesgemeinschaft ist eine Art soziale Solidarität, mit der sich der Einzelne für die Schuld der anderen verantwortlich fühlt."
Das Stammesvermögen
Die Stammeskörperschaft besitzt gemeinsames Eigentum, z.B. die Kamelherden, das gemeinsame Territorium, das wesentlich als religiöse, kultische Institution auftritt und nicht unmittelbar der Wirtschaft dient. Ob man das Weidegelände eines Stammes mit dem zivilrechtlichen Begriff des Gruppeneigentums kennzeichnen soll, scheint zumindest fraglich. Vielleicht paßt besser der Staats- und völkerrechtliche Begriff des Territoriums, in dem dem Stammesmitglied Schutz und Sicherheit soweit gewährt werden, daß es sich außerhalb dieses Bereiches im Ausland fühlt. Das Gebiet eines seßhaften Stammes gilt als vollständiges und dauerhaftes Eigentum des Stammes, während das Gebiet der Nomaden als "bewegliches Dorf" bezeichnet werden kann, wobei der Stamm nicht als Eigentümer angesehen ist, sondern als Besitzer im Sinne des modernen Rechts, der während der Dauer des Besitzes alle Rechte des Eigentümers hinsichtlich des Schutzbereiches des Stammes und dessen Verteidigung und Nutznießung (bei Weidegeländen und Naturquellen) genießt.
Dabei soll das Prinzip des islamischen Rechts gelten, daß alle Menschen am Eigentum dreier Dinge beteiligt sind: dem Wasser, der Weide und dem Feuer (Brennholz). Dieses Prinzip beruht auf einem Hadith des Propheten Muhammad, Allahs Segen und Friede auf ihm, und veranlaßt eine islamische Regierung, den Stämmen das Eigentum an den Naturquellen zu unterbinden. Im übrigen hat das islamische Recht gegen das Wesen des schon vor dem Islam bestehenden Stammeseigentums an Stammesgebiet nichts einzuwenden, das grundsätzlich der Gesamtheit der Stammesmitglieder zusteht, womit sich eine Beschädigung als solche gegen die Gemeinschaft richtet. Während das Eigentumsrecht am Boden der Gesamtheit der Stammesmitglieder zusteht, genießen die Einzelnen das Eigentumsrecht an landwirtschaftlichen Geräten, Waffen und Kamelherden in beschränktem Maße; denn diese haben zugleich eine große Bedeutung für die Verteidigung und für die wirtschaftlichen Interessen des Stammes, der jede Drohung gegen Haus- und Reittiere, die landwirtschaftlichen und defensiven Einrichtungen der Einzelnen, als unmittelbare Gefahr für die Existenz des ganzen Stammes als Einheit oder Körperschaft im heutigen Sinne des Rechts ansieht.
Ausdrücke wie "die Sklaven treiben die Kamele des Lagers zurück", bedeuten "natürlich nicht, daß Kamele nur im Eigentum eines Stammes, und nicht in dem einer Einzelperson stehen können." Dennoch gibt es in Kamelherden keine herrenlosen Tiere. Ein Kamel trägt das Brandzeichen seines Stammes und wird, wenn man es auf fremdem Gebiet aufgreift, zurückgebracht in das Eigentum des Stammes, nicht in das des Einzelnen. Verliert ein Einzelner sein Kamel auf dem Gebiet eines fremden Stammes und dieser verweigert die Herausgabe, ist der Stamm, dem der Kamelseigner zugehört, berechtigt, die Anforderung in seinem Namen zu veranlassen und sogar feindselige Handlungen gegen den anderen Stamm zu unternehmen, wenn dieser sich nicht eines besseren besinnt.223 Dies zeigt uns, wie groß das Interesse des Stammes an dem Eigentum des Einzelnen sein kann, weil dies dem Wohl der Allgemeinheit dienlich ist. Der Islam hat erreicht, daß sich Mitglieder verschiedener Stämme verbrüdern, sich als Mitglieder der ganzen Nation des Islam betrachten, alle Streitfälle zwischen den Stämmen friedlich lösen und dem Schiedsrichteramt der Stämme übertragen. Damit ist es im Geltungsbereich des islamischen Rechts so gut wie ausgeschlossen, daß der Streit um ein Stammesgut eine blutige oder feindselige Auseinandersetzung herbeiführt. "Weiden, und ganz besonders Wasserstellen, wurden gegen jeden Außenstehenden zäh verteidigt. In Dürrezeiten jedoch wurde einer Gemeinschaft, deren Weiden ausgetrocknet waren, von anderen, denen es besser ergangen war, als eine Art Nachbarschaftshilfe das Weiderecht eingeräumt, auch wenn die beiden verfeindet waren. Feindseligkeiten wurden für diesen Zeitraum eingestellt."
Die Haftung des Stammes
Die 'Aqila ist die einzige von der Schari'a anerkannte Korporation. Zur Zeit des Propheten Muhammad, Allahs Segen und Friede auf ihm, herrschte in Arabien die altererbte Stammesorganisation; allein die Stammeszugehörigkeit verlieh Rechtsschutz für Besitz und Leben; die wichtigste Garantie war die Blutrache unter solidarischer Haftung des Stammes. Mit der Möglichkeit der Ablösung durch das Blutgeld in leichteren Fällen durch die Stammesorganisation war zugleich das Personen-, Familien- und Erbrecht bedingt. Bei den vorislamischen Arabern war ursprünglich der ganze Stamm zur Zahlung des Wergeides verpflichtet, wenn das Opfer ein Stammesfreund war. Es war dabei gleichgültig, ob der Täter vorsätzlich oder nicht vorsätzlich gehandelt hatte. Nach dem islamischen Recht aber haften die Verwandten nur für die Zahlung des Lösegeldes, falls der Täter ohne Absicht gehandelt hat, weil nach der gängigen Auffassung in der Literatur auch jene Hudailitin ihre Gegnerin unabsichtlich tötete. Der Täter selbst ist nach der Mehrheit der Rechtsgelehrten nicht zur Zahlung des Sühnegeldes verpflichtet.
Quellen[Bearbeiten]
- Mourad, Samir (2007): Islamische Geschichte - Eine analytische Einführung, Deutscher Informationsdienst über den Islam (DIdI) e.V., , Karlsruhe, DIdI-info.de, ISBN 978-3-9810908-8-8
- ↑ 1,0 1,1 de.Wikipedia.org (2009): Araber. URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Araber (Version vom 20. Dezember 2009 15:49 Uhr)
- ↑ Dieses Kapitel und seine Unterkapitel sind von einigen Änderungen abgesehen vollständig übernommen aus: Fuchs-Abdullah, Rachid: „Dars - Islamunterricht für Erwachsene: Sira und islamische Geschichte Kapitel 2 – Die Araber vor dem Islam“, Skript-URL: http://www.islamkiosk.ch/download/Die_Araber_vor_dem_Islam.pdf
- ↑ 3,0 3,1 Rassoul, Muhammad Ibn Ahmad Ibn (1999): Muhammad. Prophet der Barmherzigkeit. IB Verlag Islamische Bibliothek, Köln