Qiyas

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Das Wort Qiyas (arab.: القياس) leitet sich von dem arabischen Wort „qasa“ ab, das mit "messen, abmessen, schätzen oder auch vergleichen" übersetzt werden kann. Qiyas bedeutet daher Abmessen und Vergleichen.

In der Wissenschaft des Usul al-Fiqh wird der Qiyas (Analogismus) überwiegend definiert als: "Übertragung des Urteils des Ausgangsobjekts (arab.: Asl) auf das nicht beurteilte Objekt (arab.: Far') aufgrund einer gemeinsamen Eigenschaft (arab.: `Illa)."[1]. Zur Definition: Das Urteil des Ausgangsobjekts steht für ein bereits islamisch beurteiltes Thema, dem also eine der fünf schariatischen Normen zugewiesen wurde. Das nicht beurteilte Objekt ist der Gegenstand bzw. das Thema, das beurteilt werden soll, also noch nicht islamisch kategoriesiert wurde.

Der Qiyas ist ein Analogieschluss. Er ist nach dem Quran, der Sunna und dem Idschma' die vierte Fiqh-Quelle und wird von allen vier Fiqh-Schulen anerkannt. Die Thahiriten, insbesondere Ibn Hazm lehnen den Qiyas ab.

Der Qiyas wird an vierter Stelle nach dem Idschma´ genannt, da er erst Anwendung findet, wenn der Sachverhalt nicht eindeutig in den Texten des Qurans, der Sunna oder durch Idschma´ geregelt ist.


Die vier Grundelemente des Qiyas'

Der Qiyas besteht aus vier Grundelementen (arab.: Arkan, Pl. von Rukn):

  1. Das Ausgangsobjekt (arab.: al-Asl): Der ursrpüngliche Sachverhalt, der durch eine islamische Quelle belegt und eindeutig beurteilt ist.
  2. Das Zielobjekt: Der noch ungeklärte Sachverhalt (arab.: al-Far'), der nicht eindeutig durch eine islamische Quelle beurteilt wurde und der durch Analogieschluss hergeleitet werden soll.
  3. Die rechtliche Bestimmung des Ausgangsobjekts (arab.: Hukm al-Asl) oder auch die dort angeordnete Handlungsanweisung im Sinne eines Verbotes, Erlaubtseins, u.s.w.
  4. Die gemeinsame Eigenschaft (arab.: 'Illa): Der Grund für die Übertragung des Urteils vom Ausgangsobjekt auf das zu bestimmende Objekt.


Belege aus Quran und Sunna für die Zulässigkeit des Qiyas

Belege aus dem Quran

1. „0 die ihr überzeugt seid, gehorcht Allah und gehorcht dem Gesandten und den Befehlshabern (arab.: Uli al-Amr) unter euch! Wenn ihr miteinander über etwas streitet, dann bringt es (arab.: rudduhu) vor Allah und den Gesandten, wenn ihr wirklich von Allah und den Jüngsten Tag überzeugt seid ...“ (Quran,An-Nisa 4:59)[2]

D.h. die Muslime werden aufgefordert, eine Angelegenheit, über die sie uneinig sind - und in der sie weder bei Allah (d. h. im Quran), noch beim Gesandten (d. h. in der Sunna) noch bei ihren Gelehrten (d. h. Idschma') eine Regelung finden, diese vor Allah und den Gesandten zu bringen. Das arabische Wort "radd" (davon ist "rudduhu" abgeleitet) beinhaltet auch, dass ein Sachverhalt, für den es keine islamische Bestimmung in Quran oder Sunna gibt, auf einen anderen Sachverhalt mit gleichem Hintergrund, der in Quran oder Sunna geregelt ist, zurückgeführt wird.


2. „Er ist es, Der diejenigen von den Leuten der Schrift,die ableugnen, aus ihren Wohnstätten zur ersten Versammlung vertrieben hat. Ihr habt nicht geglaubt,dass sie fortziehen würden; und sie meinten, dass ihre Festungen sie vor Allah schützten. Da kam Allah über sie, von wo sie nicht (damit) rechneten, und jagte in ihre Herzen Schrecken, so dass sie ihre Häuser mit ihren (eigenen)Händen und den Händen der Überzeugten zerstörten. Darum zieht die Lehre daraus, o die ihr Einsicht besitzt." (Quran, al-Haschr 59:2)

Das Argument für den Qiyas ist hier die Aussage Allahs am Ende des Verses „Darum zieht eine Lehre daraus". Nachdem Allah berichtete, was dem jüdischen Stamm der Banu Nadir widerfuhr, fordert er die Muslime dazu auf, daraus eine Lehre für sich selber zu ziehen, d. h. dass ihnen das Gleiche widerfahren wird, wenn sie wie die Banu Nadir handeln. Qiyas ist nichts anderes, als dass man die Gesetze Allahs auf im Kern gleiche Situationen überträgt. Allah fordert durch Seine Aussage die Muslime auf, den gemeinsamen Kern zu betrachten und daraus Rückschlüsse auf das eigene Verhalten zu ziehen.


3. Vielen andere Verse weisen darauf hin, dass sich das Verhalten Allahs, d. h. Seine Gesetze im Universum, nicht ändert. Z.B. die Aussage Allahs "Sag: Wieder lebendig macht sie Derjenige, Der sie das erste Mal hat entstehen lassen..." (36:79)

Allah antwortet hier denjenigen, die die Auferstehung leugnen, indem er ihnen einen Analogieschluss vor Augen führt: Er argumentiert, dass analog zu seiner Fähigkeit, die Geschöpfe zum ersten Mal auf der Erde zu erschaffen, Er auch in der Lage ist, sie genauso noch einmal zu erschaffen.


4. In einer ganzen Anzahl von Quranversen ist neben der rechtlichen Bestimmung auch deren Grund erwähnt. Damit zeigt Allah, dass hinter den rechtlichen Bestimmungen die Herbeiführung von Vorteilen für die Menschen steht und dass diese Vorteile an erkennbare Ursachen für die betreffenden Bestimmungen geknüpft sind.

Beispielsweise wird Tayammum, d.h. die rituelle Reinigung mit Erde anstatt mit Wasser unter gewissen Umständen erlaubt, Allah der Erhabe sagt: "...Allah will euch keine Bedrängnis auferlegen, sondern Er will euch reinigen.." (al-Maida 5:6)


Belege aus der Sunna des Propheten

Als Beispiel sei die Antwort des Propheten (Frieden und Segen auf ihm) genannt, die einer Frau gab, die ihn über das Fasten an Stelle ihrer verstorbenen Mutter fragte. Er (Frieden und Segen auf ihm) sagte:

"Meinst du denn nicht, dass die Schuld deiner Mutter getilgt wäre, wenn sie Schulden gehabt hätte, die du beglichst?" Sie antwortete: "Doch". Worauf er sagte: "Faste also an Stelle deiner Mutter".
(Hadith sahih bei Muslim)[3]


Belege aus dem Verhalten der Sahaba

Sie wählten z.B. Abu Bakr zum Kalifen mit dem Argument, dass der Prophet (Frieden und Segen auf ihm) kurz vor seinem Tod, als er krank war, Abu Bakr zum Imam, der das Gebet führen sollte, bestimmt hatte. Sie stellten eine Analogie zwischen dem Imam zur Führung der Umma und dem Imam zur Führung des Gebetes auf.

Es ist auch überliefert, dass die Sahaba im Rahmen des Idschtihads vom Analogieschluss Gebrauch machten.


Argumente der Gelehrten

1. Allah hat jede islamische Bestimmung aufgrund eines beabsichtigten Vorteils (arab.: Maslaha) für die Menschen erlassen. Wenn nun ein Sachverhalt vorliegt, der nicht in Quran oder Sunna geregelt ist, dessen Kern – von dem man ausgeht, dass dies die Weisheit hinter der Bestimmung ist - aber gleich ist mit dem Kern eines Sachverhaltes, für den ein Text vorliegt, dann ist es nur gerecht, die Bestimmung des neuen Sachverhaltes an den bekannten anzugleichen.

2. Quran und Sunna haben einen begrenzten Umfang; die Sachverhalte, die den Menschen begegnen, nehmen aber an Zahl ständig zu, sind unbegrenzt. Somit kann eine begrenzte Anzahl von Bestimmungen auf eine unbegrenzte Anzahl von Sachverhalten nur dann angewandt werden, wenn man neue Sachverhalte auf alte, bekannte Sachverhalte durch Analogieschluss zurückführt.

3. Analogieschluss zu führen heißt, einen Fall mit einem anderen zu vergleichen. Gleiches gleich zu behandeln ist ein natürliches und gesundes Verhalten (arab.: Fitra) des Menschen.


Quellennachweise

Der Artikel beruht im Wesentlichen auf dem Buch:

  1. El Baradie, Adel (1983): Gottes-Recht und Menschen-Recht. S. 69, Baden-Baden
  2. Bubenheim, Frank A.; Elyas, Dr. N. : Bedeutung des edlen Qurans in deutscher Sprache. König Fahd-Komplex, Saudi Arabien, URL: http://islam-verstehen.de/downloads.html?task=view.download&cid=19
  3. Dr. Sulaiman bin ´Abdullah (1997): Muqaddima fi l-fiqh. Riyad S.A.


Literatur