Hanbalitische Fiqh-Schule

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Die Hanbalitische Fiqh-Schule ist eine der vier heute im sunnitischen Islam anerkannten Fiqh-Schulen. Sie wurde nach dem Imam Ahmad Ibn Hanbal benannt. Im Folgenden wird auf die Grundlagen der Hanbalitischen Fiqh-Schule, deren wichtigsten Werke und deren Verbreitungsgebiet eingegangen.

Grundlagen der Hanbalitischen Fiqh-Schule[Bearbeiten]

Der Gelehrte Ibn al-Qayyim nennt fünf Grundlagen, auf die sich Ahmad Ibn Hanbal bei der Erteilung einer Fatua stützte: [1]

  1. Die Texte des Quran und der Sunna: Wenn eine eindeutige Textstelle vorlag, so stützte der Imam Ahmad seine Fatua darauf ohne einer dem Text widerspechenden Aussage eines Sahabys oder eines anderen Gelehrten Beachtung zu schenken. Der Imam Ahmad gab den Quellen der Scharia unbedingten Vorrang. Wenn ein authentischer Hadith in einer Fragestellung vorlag, so wandte der Imam diesen Hadith an. D.h. er griff bei Vorhandensein eines solchen Hadithes nicht auf andere Quellen des Fiqh zurück, genannt seien z.B. die Arbeitsweise der Bewohner von Medina, die Fatua eines Kalifen oder eines anderen Sahabys, Qiyas und Idschma'.
  2. Die Aussage eines Sahabys im Sinne einer Fetwa: Wenn in einer Fragestellung die Fatwa eines Sahabys vorlag und nicht bekannt war, dass ihm jemand widersprochen hätte, so galt dies bei dem Imam Ahmad als Beweismittel, auf das man sich stützen konnte. Er nannte dies nicht Idschma´, sondern gebrauchte den Ausdruck: “Mir ist nichts bekannt, was dieser Meinung entgegenstehen würde” und ähnliche Ausdrücke. Diese Art des Beweismittels steht bei Ahmad im Range noch vor dem Qiyas.
  3. Die Wahl einer Aussage eines Sahaby, wenn verschiedene, sich widersprechender Meinungen, vorlagen: Bei Vorliegen eines solchen Widerspruchs wählte der Imam Ahmad diejenige Aussage aus, die seiner Meinung nach inhaltlich am ehesten mit den Texten des Qurans und der Sunna übereinstimmte. Er unterließ es jedoch, eine Fatua zu geben, die eine Meinung darstellen würde, die keiner der Sahaba vertreten hatte. Wenn für ihn nicht erkennbar war, welche der Aussagen der Sahaba richtig war, so überlieferte er nur den vorhandenen Meinungsstreit ohne eine eigene Aussage zum Thema zu machen.
  4. Mursal-Hadithe: Ahmad stützte sich auch auf Mursal-Hadithe[A 1] und schwache Hadithe, wenn dem nichts entgegen stand. Er zog diese Art von Hadithen dem Qiyas vor. Es ist jedoch zu beachten, dass der Imam Ahmad unter einem schwachen Hadith das Gegenstück zum authentisch überlieferten Hadith verstand und keineswegs Munkar-Hadithe[A 2], ungültige (arab.: batil) Hadithe oder solche Hadithe in deren Überlieferungskette zweifelhafte (arab.: mutaham) Personen waren. Zur Zeiten Ahmads gab es noch nicht die Einteilung in schwache, gute und authentische Hadithe. Die von Ahmad verwendeten Hadithe fallen daher unter die Kategorie hasan, d.h. gut.
  5. Der Qiyas bei Notwendigkeit: Wenn in einer Fragestellung keiner der vier zuvor genannten Quellen vorhanden war, wendete der Imam Ahmad den Qiyas an. Der Imam Ahmad Ibn Hanbal sagte: "Ich fragte Asch-Schafi´i nach dem Qiyas, daraufhin antwortete er mir: "bei Notwendigkeit." [1]

Besonderheiten der Hanbalitischen Fiqh-Schule hinsichtlich der Quellen des Fiqh[Bearbeiten]

  • Die obige Aufzählung enthält die wichtigsten fünf Fiqh-Quellen der Hanbalitischen Fiqh-Schule. Ahmad Ibn Hanbal unterließ es, eine bestimmte Fatua zu geben, wenn widersprüchliche Belege vorlagen, oder wenn die Sahaba in einer Fragestellung widersprüchliche Ansichten vertraten und die richtige Ansicht nicht klar war. Er unterließ eine Fatua auch, wenn ihm kein Athar[A 3] und keine Aussage eines Sahabys oder eines Tabi'is diesbezüglich bekannt war. Es war ihm sehr verhasst und er verbot es, dass eine Fatua gegeben wurde, ohne dass es in dieser Fragestellung ein Athar eines der rechtschaffenen Vorfahren (arab. salaf) gab[1].
  • Die obige Aufzählung ist keineswegs abschließend. Die von dem Gelehrten Ibn Qayyim aufgezählten Grundlagen stellen bei genauerem Hinsehen vier Grundlagen dar: der Quran, die Sunna, die Aussage eines Sahabys (Fatua), der Qiyas. Hinzu kommen weitere Quellen des Fiqh wie der Idschma´, der Istishab, al-Maslaha al-Mursala, Sad ad-Dharaa´i´, dies wird deutlich, wenn man die Fiqh-Werke der Hanbalitischen Fiqh-Schule studiert[2].
  • Zu beachten ist, dass der Imam Ahmad eine sehr kritische Einstellung zum Idschma´ hatte. D.h. nicht alles, was die Gelehrten als Idschma´ ansahen, wurde von Ahmad akzeptiert. Es wird von seinem Sohn `Abdullah überliefert, dass er sagte: „Wer einen Idschma´ behauptet, der ist ein Lügner, denn vielleicht haben die Leute abweichende Meinungen und er weiß es nicht…“[1]. Gemeint ist hiermit eine bestimmte Art des Idschma´, der sogenannte stillschweigende Konsens, d.h. die Zustimmung aller Gelehrter wird angenommen, wenn kein Widerspruch ihrerseits bekannt ist. Ihr Stillschweigen wird als Zustimmung gedeutet. Dies stellt bei Ahmad keinen gültigen Idschma´ dar; er lehnte es ab, einen solchen stillschweigenden Konsens den feststehenden Texten aus Quran und Sunna vorzuziehen. Eine ähnliche Ansicht vertrat Asch-Schafi'i[1].

Die wichtigsten Werke der Hanbalitischen Fiqh-Schule[Bearbeiten]

  • Al-Musnad: In diesem Buch sammelte Ahmad die von ihm überlieferten Hadithe unter Angabe der Überlieferungskette.
  • Masa-il Al-Imam Ahmad: Dieses Buch schrieb sein Sohn `Abdullah. Es behandelt Fragestellungen (arab.: Masa-il), die Imam Ahmad behandelt hat.
  • Masa-il Al-Imam Ahmad, überliefert von Abu Dawud As-Sadschistany (gest 316 n.H.).
  • Masa-il Al-Imam Ahmad, überliefert von seinem Sohn Abu Al-Fadl Salih.

Die drei Werke über Fragestellungen (Masa-il) zählen zu den Grundlagenwerken der Hanbalitischen Fiqh-Schule in sämtlichen Bereichen der islamischen Wissenschaft, denn der Imam Ahmed war nicht nur mit Fragen der Aqida, des Fiqh und der Quranauslegung (Tafsir) sondern auch mit zahlreichen Fragen im Bereich der Hadithwissenschaften konfrontiert wurden. Bedeutung erlangten diese Werke auch dadurch, dass die behandelten Fragestellungen anhand von Belegen aus Quran, Sunna und Athaar der rechtschaffenen Vorfahren beantwortet wurden[3].

  • Al-Dschami´al-Kabir: Der Autor ist Ahmad Ibn Muhammad Ibn Harun Abu Bakr al-Khalal (gest. 311 n.H.). Das Werk umfasst mehr als 20 Bände. Der Autor verwandte besondere Sorgfalt darauf, sämtliche Wissensdisziplinen Ahmads zusammenzutragen.
  • Mukhtasar al-Kharqy: Der Autor ist Abu Al-Qasim Umar Ibn Abi `Ali Al-Hussain al-Kharqy (gest. 324 n.H.). Das Buch stellt einen Abriß des Hanbalitischen Fiqh dar. Dieses Buch erlangte große Berühmtheit und wurde von zahlreichen hanbalitischen Fiqh-Gelehrten kommentiert. Man spricht von über dreihundert Kommentaren.
  • Al-Murhny: Dieses Buch kommentiert das oben genannte Werk von Al-Kharqy. Der Autor ist Muwaffiq Ad-Din Ibn Qudama al-Maqdisy[2]

Verbreitungsgebiet der Hanbalitischen Fiqh-Schule[Bearbeiten]

Die Hanbalitische Fiqh-Schule ist die letzte der vier großen Fiqh-Schulen, sie fand daher nicht im gleichen Umfang Verbreitung wie ihre Vorgängerinnen, denn die meisten Länder hatten sich schon einer bestimmten Schule angeschlossen. Ursprünglich fanden sich die meisten Anhänger der Hanbalitischen Fiqh-Schule in Syrien und Irak, insbesondere in Bagdad und dessen Umgebung. Später wurde sie die führende Fiqh-Schule im Nadsch (Saudi-Arabien) und Umgebung. Heute wird der Hanbalitische Fiqh-Schule vorallem in Saudi-Arabien gefolgt. Sie findet dort Anwendung in gottesdientlichen Angelegenheiten (arab. 'Ibadat) und Angelegenheiten der Beziehungen der Menschen untereinander (arab.: Mu'amalat) sowie im Fatua- und Gerichtswesen[3].

Quellennachweise:[Bearbeiten]

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 > Ibn al-Qayyim, Schams ad-Din (2004): I´laam al-Muuqi´iin, S.30 ff, Dar al-Kitab al-`Arabiy, Beirut
  2. 2,0 2,1 Dr. Al-Aschqar, ´Umar Sulaiman (2008): Al-Madhal il dirasa al-Madhahib wa Al-Madaris Al-Fiqhia, Jordanien
  3. 3,0 3,1 Dr. Sulaiman bin ´Abdullah (1997): Muqaddima fi l-Fiqh, Riyad S.A.

Anmerkungen[Bearbeiten]

  1. Ein Mursal-Hadith ist ein Hadith, in dem ein Überlieferer nach der Generation der Gefährten (Tabi'i) direkt den Propheten (Friede und Segen auf ihm) zitiert, ohne den Sahaby zu erwähnen, von dem er den Hadith erhalten hat.
  2. Munkar-Hadith: “Verurteilt“, ein Bericht von einem schwachen Überlieferer, der gegen einen bekannten Hadith gerichtet ist.
  3. Athar: Wörtl.: Spur; wird üblicherweise für die Taten und Präzedenzfälle der Sahaba verwandt.